Chantal HECK
« Ihre Wünsche hören und beachten »

Als Programmbeauftrage am Kulturzentrum Alter Schlachthof (Chudoscnik Sunergia) in Eupen, der Hauptstadt der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, ließ sich Chantal Heck viel von den Bedürfnissen, die die Sozialeinrichtungen artikulierten, inspirieren und veranstaltete dabei fröhliche Events.

Welche Auswirkungen hatte das Bérénice-Projekt auf das Programm des Kulturzentrums Alter Schlachthof?

Unser Programm war schon immer sehr vielfältig, aber vorher widmete es sich wenig dem Thema Migration. Angesichts der Aktualität kam das Projekt wie gerufen. Unser Publikum hatte hohe Erwartungen. Es gab sehr starke Begegnungen, wie zum Beispiel mit der ehemaligen Abgeordneten Afghanistans Najiba Sharif oder mit Dominique Bela, einem Künstler, der bei uns in Residenz war. Ich unterscheide zwischen zwei Veranstaltungstypen: die einen, die das Publikum auf Diskriminierungen, auf Migrationsfragen aufmerksam machen und die leichteren und geselligeren, die unterschiedliche Publikumsschichten zusammenbringen sollten. Zuschauern mit Migrationshintergrund muss man nicht von Migration erzählen, sondern eher kulturelle Veranstaltungen anbieten, bei denen sie andere Menschen treffen können. Wir haben zum Beispiel zu einem syrischen musikalischen Frühstück eingeladen und einfach gemeinsam eine nette und schöne Zeit erlebt. In der Regel haben wir der Musik als universelle Sprache den Vorzug gegeben und immer wieder andere Sprachen zu Gehör gebracht. Mit den Finanzmitteln aus dem Bérénice-Projekt konnte sich unser Weltmusikfestival, das jedes Jahr im August stattfindet, ausweiten und an Bedeutung gewinnen. Viele geflüchtete Musiker können in diesem Rahmen auftreten. Wir wendeten uns auch unserem Publikum neu zu: Wer mit einer benachteiligten Person kam, erhielt die zweite Karte zum halben Preis. Das Ergebnis: Wir konnten neue Publikumsschichten erschließen, die unseren Kulturzentren eher fern waren, darunter auch Flüchtlinge.

Wie haben Sie konkret mit ihren Partnern aus dem Sozialbereich zusammengearbeitet?

Mit dem Flüchtlingszentrum Eupen, dem Stadtteilzentrum Cardijn und dem Roten Kreuz sowie mit den Ehrenamtlichen, die sich in diesen Einrichtungen um Neuangekommene kümmern, haben wir eine Arbeitsgruppe Bérénice gegründet. Wir trafen uns oft, besonders am Anfang. Wir wollten in erster Linie ihre Wünsche hören und beachten. Sie allein konnten uns sagen, was den Neuangekommenen im kulturellen Bereich fehlte und wofür sie sich interessierten. Die Angst, zu solchen Akteuren zu gehen, muss überwunden werden! Von ihnen kam die hervorragende Idee eines Filmfestivals zum Thema „kulturelle und soziale Vielfalt“. Die Bérénice Filmtage, die daraus hervorgegangen sind, werden weiterhin jedes Jahr im Oktober stattfinden! Ins Kino zu gehen, fällt leichter als ins Theater und damit kann man wunderbar persönliche Geschichten weitergeben. Das Miteinbeziehen von Jugendlichen in die Programmarbeit half uns bei der Auswahl von weniger stereotypen Filmen. Wir hatten zum Beispiel im Programm der ersten Ausgabe einen irakischen Film über die Elektromusikszene in Irak. Der Filmvorführung folgte ein Konzert mit DJs. Die Arbeit mit Asylbewerbern fordert uns allerdings auf, im gesetzlichen Bereich kreativer zu sein. Wir haben mit manchen Ehrenamtsverträge abgeschlossen, um sie entlohnen zu können. Es ist Bastelarbeit, aber wir kriegen das hin.

Hat sich Ihre Ansicht zu Begleitmaßnahmen für geflüchtete Künstler geändert?

Ich wurde mir der Notwendigkeit bewusst, ihre persönlichen Geschichten zu beachten. Wir wollten zum Beispiel die Koproduktion eines Kurzfilms von einem Filmemacher aus Bagdad finanziell unterstützen. Er fand aber dafür nicht die Kraft. Seine Priorität war, seine Tochter nach Belgien zu holen. Ihr Leben mit Kunst zu verdienen hat für geflüchtete Künstler nicht immer Vorrang. Sie haben viele weitere Probleme zu lösen und in einigen Kulturen gehört die Musik nicht zum Beruf, sondern zum Alltagsleben. Bleiben wir sehr bescheiden. Ihnen einen Raum anzubieten, wo sie weitere Künstler treffen und sich ausdrücken können, ihnen dabei helfen, Freunde zu finden, sich anerkannt zu fühlen, das ist schon das Wesentliche und das Entscheidende.