Protokoll aus dem grenzüberschreitenden kolloquium #2
Im Rahmen der Caravane, Metz, September 2019

Durchführung eines künstlerischen oder kulturellen Projektes mit Menschen im Exil: Welcher/welche Akteur/-in aus dem Sozial- und dem Kulturbereich hätte etwas an einer so humanistischen Idee auszusetzen? Unter die Luppe genommen erweist sich diese Fragen sowohl als künstlerisch, ethisch, politisch als auch praktisch, juristisch, logistisch und sprachwissenschaftlich. Nein, ein solches Projekt ist keine Selbstverständlichkeit. Ja, es führt zu Kontroversen. Nach einem ersten Kolloquium im April 2018 in Trier lud das Bérénice-Netzwerk am 26. und 27. September 2019 in Metz dazu ein, einen Moment innezuhalten. Zwei Tage, um sich von Erfahrungsberichten bereichern zu lassen, um Tipps und Meinungen miteinander auszutauschen und um über Zufriedenheit oder Frustrationen zu reden… Die zu Anfang gestellte Frage lässt sich nicht vollständig beantworten.

Donnerstag, 10:30 Uhr –

Helfer? Dieses Wort lässt mir schon die Haare zu Berge stehen. Ein Künstler hilft gar nicht. Ihm wird geholfen“ behauptet der Theaterregisseur Didier Doumergue. Das zweite Bérénice-Kolloquium wurde erst vor einigen Minuten eröffnet und schon werden die verschiedenen, manchmal sehr scharfen Meinungen deutlich. Das Thema dieser ersten Podiumsdiskussion lautet Soziale Inklusion durch Kultur: Was heißt Helfer sein? Dem Regisseur zufolge kann der/die Künstler/-in einen/-e aus einem anderen Land kommenden/-e Kollegen/-in dabei helfen, sein/ihr Netzwerk aufzubauen und sich in den Beruf zu integrieren. Wenn es aber um Projekte zur sozialen Inklusion geht, muss man unbedingt „mit kreativ sein“. Die Menschen müssen wieder als Subjekte betrachtet werden, nachdem sie wie „Nicht-(Mehr)-Subjekte“ behandelt wurden. Freilich muss man erst wissen, was man schöpfen beziehungsweise schaffen will und wie. Für Didier Doumergue kommt eine Fokussierung auf die erlebten Grausamkeiten nicht in Frage. „Heute gibt es furchtbares Abdriften im dokumentarischen Theater. Menschen, die in ihrem Land Dramen erlebt haben, erzählen uns auf der Bühne von diesen. Und dann? Man weiß nichts damit anzufangen. Das Wort muss mit einer ästhetischen Form eingerahmt werden. Wir müssen gemeinsam eine Fiktion schaffen. Wenn man Künstler ist, ist man kein Sozialarbeiter.“

Ein weiterer Referent, mit einer radikal anderen Meinung: „Ich bekenne mich absolut als Helfer“ gesteht Daniel Frisoni, Organisator des Doku-Treffs des regionalen Instituts für Sozialarbeit Lothringen (IRTS), eines Festivals für Sozialfilme. „Alles begann an einem Morgen, beim Frühstücken, als ich im Radio von der Bombardierung Aleppos hörte“ erzählt er, bevor er die Begleitmaßnahmen weiter detailliert erläutert, die er in Nancy für junge Syrer/-innen umgesetzt hat. „Ich wollte denjenigen helfen, die in Frankreich Zuflucht gefunden hatten, indem ich ihnen Französisch beibrachte. Ich war dafür aber nicht ausgebildet. Dank den Aussagen von Kamel Daoud verstand ich, dass man ihnen auch dabei helfen musste, den Verhaltensregeln unserer Gesellschaft zu verstehen.“ Mit seinen Studenten/-innen aus dem Studiengang „Sozialarbeit“ nimmt er junge Syrer/-innen einer – im weitesten Sinne – kulturellen Entdeckung der Stadt Nancy, unter dem Stichwort „Kulturerbe“, mit. Was ist dieses Gebäude? Das Rathaus? Wie heißt dieser Fluss? Kennen übrigens die französischen Studenten/-innen die Namen der Flüsse in Syrien? Und wieso heißt eine der Französinnen Fatima? „Wir waren alle auf Augenhöhe. Sie haben uns so viel geholfen, wie wir ihnen. Das Staunen wurde in Worte gefasst. Dank ihnen lernten wir uns selbst besser kennen“, freut sich Daniel Frisoni. In diesem Rahmen hat er übrigens einen jungen Syrer kennengerlernt, der Regisseur und Cutter ist und der dann mit der Erstellung des Trailers für das Doku-Festival des IRTS beauftragt wurde: „Er ist kein Flüchtling mehr, sondern ein Mitarbeiter.“

Geben und bekommen

Soll man nach dem „Gibst du mir, so geb’ ich dir“ streben? „In Kalabrien (Italien) hat 1997 eine Gruppe von Kurden, die über das Meer gekommen waren, dazu beigetragen, dem Dorf Riace, wo sie empfangen wurden, wieder Leben einzuhauchen. Sie haben die Häuser restauriert und traditionelle Berufe aufgewertet: Glasbläser, Halskettenfabrikant…“ erzählt Emmanuel Jovelin, Soziologe der Migrationen und der Sozialarbeit an der Universität Lothringen. „Der Migrant wollte wohl kommen. Er wusste dabei, dass er es schwer haben wird“, so Jovelin, der dann darauf hinweist, dass die Anerkennung unbedingt gegenseitig sein muss.

Was halten aber Sozialarbeiter/-innen davon? „Die Beziehung ist für einen Referenten aus dem Kunst- oder dem Kulturbereich ganz anders als für einen Sozialarbeiter. Man muss die Menschen ganz einfach kommen lassen, sich nicht zu viele Fragen stellen, die gemeinsamen Momente genießen und das Beste für jeden daraus ziehen“ kommentiert Sandrine Bertozzi, Sozialreferentin beim ALISéS-CHRS in Briey (Meurthe-et-Moselle), die ebenfalls an der ersten Podiumsdiskussion über Helfer/-innen teilnimmt. Seit 2012 arbeitet sie mit Geflüchteten und greift dabei zu den Mitteln Rap, Slam und Schreibworkshops, zum Puppentheater und zum zeitgenössischen Tanz. „In solchen Momenten sind wir – mehr als sonst – auf Augenhöhe, weniger in der Beziehung Helfer-Geholfener“ weiß sie zu schätzen, selbst wenn „die Menschen natürlich weiterhin das Gefühl haben, dass wir ihnen helfen und uns dafür danken“.

Der gemeinsame Besuch von Aufführungen verbessert die pädagogische Beziehung“ behauptet sogar die Sozialpädagogin Catherine Keller (CHRS in Briey), die seit zwölf Jahren Besucher/-innen zum Arsenal bringt und vor oder nach jedem Besuch Vorbereitungs- und Diskussionsrunden organisiert. „Danach öffnen sie sich mehr und sprechen mehr über die Schwierigkeiten, auf die sie stoßen“, stellt sie fest.

Über die Sprachen hinaus kommunizieren
Donnerstag, 13:30 Uhr –

Um nicht mehr nur über die Möglichkeit einer Arbeit auf Augenhöhe zu sprechen, sondern sie konkret zu erleben: Zeit für die Praxis! Zu Beginn des ersten Nachmittags können die Teilnehmer/-innen am Kolloquium zwischen zwei Workshops wählen: Soundpainting oder Theater in der Eton-Sprache, einer der Sprachen Kameruns. Künstler/-innen, Mitarbeiter/-innen der Kultureinrichtungen, Sozialarbeiter/-innen, Migranten/-innen, Referenten/-innen und „einfache“ Teilnehmer/-innen: alle gemischt, alle Anfänger/-innen.

In einem Raum lässt Dominique Bela, einer der vom Bérénice-Programm begleiteten Künstler/-innen, die Teilnehmer/-innen miteinander in einer Sprache kommunizieren, die sie nicht kennen. Parallel, im großen Saal des Arsenals, weckt die Klarinettistin Delphine Froeliger neue musikalische Fähigkeiten… ohne Instrumente! Allein die von Körperbewegungen entstehenden Gesten und Töne, die Stimmensalven oder Gelächter, die Geräusche und Lautmalereien bilden das Orchester. Die Übung stellt den Körper auf die Probe und lädt dazu ein, das widerspiegelte Image loszuwerden, sich der Gruppenenergie anzuschließen, die Eigenheit eines jeden Mitglieds der Gruppe wahrzunehmen… Crescendo, mit Ravels Boléro, mit Lächeln auf den Gesichtern und immer mehr schwingenden Körpern wächst die Gruppe zusammen, im Überschwang der gemeinsam erlebten Freude.

Donnerstag, 15:00 Uhr –

Eine ideale Präambel zur Fortführung des Kolloquiums und zu Beginn der zweiten Podiumsdiskussion: Einen Workshop mit fremdsprachensprechenden Teilnehmern/-innen leiten. „Gesten sind universell. Soundpainting gibt den Teilnehmern die Möglichkeit, sich auszudrücken und bringt die Gruppe zusammen. Wenn die Musiker ein Zeichen verpassen, muss der Soundpainter damit zurechtkommen und dafür sorgen, dass kein weiterer Fehler auftritt“, erklärt die Referentin Delphine Froeliger, bevor sie auf die Erfindung dieser Technik, die im Jahr 1974 durch den deutschen Dirigenten Walter Thomson entwickelt wurde, hinweist. Als Musikerin und Pädagogikreferentin beim Orchester Démos in Metz (Förderungsprogramm der Pariser Philharmonie für Ensembles mit unter anderem kulturfernen Schülern/-innen, die drei Jahre lang ein Instrument zu spielen lernen), verwendet Delphine Froeliger diese Technik seit zweieinhalb Jahren, nachdem sie sich ausbilden ließ und sich selbst mit den Hunderten von kodierten Gesten vertraut machte. Enthusiasmus füllt den Raum: „Wir arbeiten viel zu wenig mit körperlichen Ausdrucksformen.“, „Überall in der Welt spielt der Schauspieler gleich.“, „Diese Technik ist sehr sinnvoll.

Von Dominique Belas Workshop in Eton-Sprache ist auch eine Teilnehmerin begeistert: „Ich habe echt den Eindruck, diese Sprache gelernt zu haben. Mit Hilfe meines Körpers habe ich es geschafft.

Universelle Emotionen

Ein weiterer Referent, Joël Helluy, gleichzeitig Sozialpädagoge und Schauspieler, beschreibt seine Arbeitsweise in den Theaterworkshops El Warsha, die er im Rahmen des Bérénice-Projekts leitet und die Einheimische und Fremdsprachensprechende zusammenbringen. „Wir arbeiten mit dem, was uns universal verbindet: Man lacht, weint, gähnt, hat Hunger und singt in allen Ländern. Bei den ersten Sitzungen wird es mit Rhythmen ausprobiert und so entsteht eine Kommunikation, bei der wir unterschiedlich in Bewegung geraten und Gefühle äußern. Hier findet die Begegnung statt. Wir beginnen oft mit Schulhofspielen: Ochs am Berg, Wer ist der Dirigent?… Sie werden auch auf dem Balkan oder in Asien gespielt, sie haben nur andere Namen. Das haben wir gemeinsam und damit entsteht direkt eine entspannte Atmosphäre.

Ja, man kann das Thema Exil mit Fröhlichkeit behandeln, betont Mwoloud Daoud, Theaterregisseur und Mitdirektor von Schams, eines integrativen Musik- und Theaterprojekts, das 2017 mit dem Deutschen Integrationspreis ausgezeichnet wurde. 2014 als syrischer Flüchtling nach Deutschland gekommen greift er in seinem Theater zum Absurden, zum Skurrilen und zum Sarkasmus. „Beide Kulturen lassen sich nicht einfach zusammenbringen. Exil ist aber kein Gefängnis, sondern eine neue Lebensweise, eine neue Kultur, ein neuer Freiheitsraum.“

Exil als Hauptthema von Exilkünstlern/-innen
Donnerstag, 16:15 Uhr –

Wann sind Kunst und Kultur nicht mehr nur Inklusionsinstrumente, sondern werden zum Lebensprojekt und existenziellen Muss? Mit welchen neuen Formen wird der/die des Landes verwiesene Künstler/-in schöpferisch tätig? Kann er/sie so einfach von etwas anderem als vom Exil erzählen? Denkt er/sie, dass ihm/ihr eine besondere Verantwortung gegenüber anderen Exilmenschen zuteil wird? Am Ende dieses ersten Tages stellt die letzte Podiumsdiskussion des Kolloquiums folgende Frage: Übers Exil reden: welche Stellung nimmt der/die Künstler/-in zu biografischen Erzählungen ein? Auf dem Podium werden zwei Künstlern/-innen mit Fluchterfahrung das Wort erteilt: Wejdan Nassif, Schriftstellerin aus Syrien, und Miguel Bejarano Bolívar, Schauspieler aus Kolumbien.

Wejdan Nassif hatte schon in Syrien Brieferzählungen geschrieben. Sie machte in Metz weiter, in dem sie Erzählungen von Einwohnern/-innen des sehr multikulturellen Stadtviertels Borny sammelte. Mit der Unterstützung der Bérénice-Factory machte sie daraus ein Buch: A vau l’eau (zweisprachige, arabisch-französische Auflage beim Verlag Ill Edition). Acht Geschichten von Einwohnern/-innen, die das Exil erlebt haben, und dazwischen Erzählungen aus ihrer eigenen Geschichte: Somit entsteht ein Dialog zwischen den verschiedenen Werdegängen und die Autorin wird zu einer ihrer Figuren. „Wir Flüchtlinge haben alle die gleichen Erfahrungen gemacht: der Ofpra (französische Organisation zum Schutz von Flüchtlingen und Heimatlosen) unsere Geschichte erzählen, gelähmt von sprachlichen Schwierigkeiten sein, französische Gerichte essen, die wir anfangs nicht mögen. Ich kann mir vorstellen, was sie empfunden haben. Am Ende wollten mir sehr viele Menschen aus Borny ihre persönlichen Geschichten erzählen, aber auch die Geschichten ihrer Länder, wie wir dies alle in unseren Berichterstattungen für die Ofpra tun. Reden ist eine Art zu überleben und zu heilen“, erinnert sie sich. Auch als Zuschauerin sucht sie immer noch, in den besuchten Stücken, nach verwandten Erzählungen, die im Einklang mit ihren eigenen stehen. „Ich habe das Bedürfnis, wenn man von mir als Geflüchtete spricht, dann auf der Bühne die anderen Stimmen dieselbe erlebte Realität wiedergeben. Es knüpft Verbindungen zwischen uns, zwischen Geflüchteten und den anderen. Wir wohnen alle auf demselben Planeten.“ Im Raum bestätigt ein Teilnehmer: „Nach allen Stücken mit Geflüchteten, die ich gesehen habe, habe ich den Eindruck, dass unsere Arbeit darin besteht, ihre Erzählungen zu inszenieren. So eignen wir uns diese Erzählungen an und lassen die Erzählenden richtig rein in unser Land.“

Dreißig Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland schwankt Miguel Bejarano Bolívar immer noch zwischen dem Gefühl, ein Ausländer für manche zu sein und dem Gefühl, hier einen Platz gefunden zu haben. „Viele Menschen verbinden Kolumbien mit Kokain. So habe ich oft den Eindruck, als Drogendealer betrachtet zu werden. Gleichzeitig fand ich aber in Deutschland eine Ruhe, die ich in Kolumbien nie gespürt oder erlebt hatte. Die Ruhe zu schreiben. So konnte ich dank der Kunst meinen Weg finden.“ Ein Großteil seiner Aktivitäten als Dramaturg und Pädagoge ist immer noch mit diesen Themen verbunden. „Ich habe meine Heimat nie vergessen. Heute noch habe ich einen Fuß in Deutschland und den anderen in Kolumbien. Die Stücke, die ich schreibe, beschäftigen sich mit dem Exil. Ich arbeite mit Schulen, an denen 95% der Schüler Migrationshintergründe haben. Ich will ihnen dabei helfen, mit der Musik, dem Tanz oder dem Theater eine Heimat zu finden. Wenn Kinder sich die Hand geben und beginnen zusammen zu tanzen, ist das ein großes Glücksgefühl.“

Erzählen, was man nicht erlebt hat
Freitag, 10:00 Uhr –

Auch Menschen, die in unseren Ländern geboren wurden, haben aber das Gefühl, woanders Wurzeln zu haben und hinterfragen ihre Identität. Exil betrifft nicht nur die Neuangekommenen. Beweis dafür ist das schöne Wanderstraßentheaterstück Patua Nou der belgischen Kompanie Le Corridor (eine Koproduktion der Bérénice-Caravane). Rund um das Arsenal am Ende der beiden Kolloquiumstage präsentiert, erzählt das Stück von acht Biografien von in Belgien lebenden Personen; mit Gesang und Zeichnungen angelehnt an Patachitras, eine Erzählkunst aus Bengalen. Der Beginn des zweiten Tages gibt Anlass zu einer Auseinandersetzung mit diesem Stück, mit dessen Entstehungsgeschichte und dessen gewundener Entwicklung. Dazu findet ein Austausch mit der Regisseurin und künstlerischen Leiterin Dominique Roodthooft sowie mit mehreren mitwirkenden Schauspielern/-innen statt. Die Letzteren haben nämlich ihre eigenen Familiengeschichten verarbeitet, um diese neuen Geschichten zu entwerfen. Einige waren zwar dunkel, wurden aber nie auf heftige Weise oder mit Klageliedertönen erzählt. Auch die Illustrationen zeichnen diese Erzählungen nicht auf harte Weise nach. „Nein, Menschen im Exil sind nicht alle Opfer. Sie haben eine unglaubliche Kraft, einen Engagements- und Lebenswillen. Ja, ihr Werdegang berührt uns, aber wir müssen uns nicht von der Emotion einnehmen lassen. Wir müssen weiter nachdenken. Für mich besteht die Aufgabe des Künstlers darin, bei den Zuschauern fröhliche Erwartungen zu wecken, im Deleuzes Sinne. Ich will bei ihnen kein Machtlosigkeitsgefühl wachrufen.“

Juristische Hindernisse umgehen
Freitag, 11:00 –

Zurück zur Feldarbeit und genau zu diesen juristischen Hindernissen, die uns bei Projekten mit Flüchtlingen zur Verzweiflung bringen könnten. Die Podiumsdiskussion – Wie wird das Asylrecht in der Großregion gehandhabt? – beginnt mit folgender Feststellung: Der syrische Künstler Mohamed Kushari, der von der Bérénice-Factory begleitet wird, durfte Deutschland nicht verlassen, um an diesem Kolloquium teilzunehmen. Es liegt an seinem Status als „Person mit Anrecht auf subsidiären Schutz“. Die Durchführung von europäischen Projekten mit Flüchtlingen setzt tatsächlich voraus, dass alle – auch die Kultureinrichtungen, die nicht vom Fach sind – sich mit den gesetzlichen Vorschriften ihres Landes und der benachbarten Partnerländer vertraut machen. Dem Direktor des regionalen Integrationszentrums der Provinz Luxemburg (Belgien) Nicolas Contor zufolge wird das verlangte Integrationsniveau, insbesondere das Sprachniveau, immer höher: Die Anzahl der vorgeschriebenen Sprachkursstunden steigt immer weiter, wobei noch keine Erfolgspflicht vorgeschrieben wird.

Für Maurice Melchior, den Vorsitzenden des Kollektivs für den Empfang von Asylbewerbern im Departement Moselle, das ausschließlich mit ehrenamtlichen Kräften arbeitet, „ist der Prozess sehr komplex und verlangt ein hohes Fachwissen. Es ist soziale und bürokratische Misshandlung. Manchmal meistern sie ihn und dennoch wird ihnen ihre Identität abgestritten“. Der Mangel an auf Exil- und Ausländerrecht spezialisierten Rechtsanwälten/-innen macht es noch schlimmer, schätzt der Anwalt Daniel Delrez: „Von den 250 Rechtsanwälten der Anwaltskammer Metz sind fünf mehr oder minder darauf spezialisiert“.  Diese Bürokratie wird auch auf deutscher Seite vom Anwalt Bernard Dahm angeprangert, der von unhaltbaren Verfahrungen und Fristen erzählt.

Freitag, 14:00 –

Wenn selbst Experten die Limitierung des Systems erkennen, was können denn Künstler/-innen tun, um ihre Projekte durchzuführen? Darum geht es bei der letzten Podiumsdiskussion: Mit asylsuchenden oder ausgewiesenen Künstlern/-innen arbeiten: der juristische Rahmen. Als Einführung gibt es eine Tonaufnahme aus dem Stück Die Schleichwege, das die Kompanie Les Heures paniques aus Metz mit vier Asylbewerbern/-innen aus dem Blida-Lager entwickelt hat. Hier wird ein telefonisches Gespräch zwischen der künstlerischen Leiterin der Kompanie und der Präfektur wiedergegeben, bei dem sie um Sonderaufenthaltsgenehmigungen aufgrund einer Tournee bittet. Sie wird ständig mit anderen Ansprechpartnern/-innen verbunden, hinterlässt Nachrichten auf Anrufbeantwortern, ihr Anruf wird umgeleitet… Die Absurdität der Situation bringt den Zuhörern/-innen zum Lachen. „Es ist aber wirklich so gelaufen. Im Endeffekt bekam ich keine Antwort auf meine Frage“ erzählt Maud Galet-Lalande auf dem Podium, bevor sie die vielen Fallstricke, in die sie im Laufe des Projekts geraten ist, detailliert wiedergibt. Dazu gehört die komplexe Frage der Bezahlung der Künstler/-innen, die theoretisch nicht arbeiten dürfen. Einen Monat nach Projektbeginn, als sie dabei waren, das Stück mit den vier Asylbewerbern zu schreiben, wurde einer von denen, John, nach Deutschland abgeschoben (Dublin-Verfahren). Dann bekam ein Zweiter, Damir, den Bescheid, er müsse Frankreich sofort verlassen und konnte damit jederzeit abgeschoben werden. „Wir mussten unbedingt die Tournee verlängern. Wir haben neue Termine bekommen, Artikel in der Presse veröffentlicht und 4.000 Unterschriften auf unserer Petition gesammelt“. Dies verhinderte aber nicht Damirs Abschiebung.

Als Vorbild dienen

Während Maud Galet-Lalande sich mit unzähligen offiziellen Anträgen und Empfehlungsschreiben befasste, war Ariel Cypels Methode ganz anders, wie er es auf dem Podium erzählt. Als Hauptkoordinator des Pariser Ateliers für Exilkünstler/-innen, das über Räumlichkeiten mit einer Fläche von 1.000 Quadratmetern verfügt, stellt er Arbeitsräume zur Verfügung, übernimmt die administrative und soziale Betreuung, bietet die Kurse „Französisch durch Kunst“, organisiert Begegnungen fördernde Kulturveranstaltungen, vermittelt Galerien, Drehbuchautoren usw. Dies alles kontinuierlich für 150 aktive Künstler/-innen.

Wir schicken nie einen Künstler irgendwohin, ohne dass er offiziell angemeldet und bezahlt wird und dafür bitten wir um keine Erlaubnis. Wir zahlen all unsere Sozial- und Steuerbeiträge, es ist keine Schwarzarbeit. Mit 500 Gagen im Jahr weiß die Polizei darüber Bescheid und die Präfektur schickt sie sogar zu uns. Sie wissen, dass man einen Sänger oder einen Maler nicht davon abhalten kann zu singen oder zu malen.“ Legal zu handeln kann ihm zufolge sowieso unterschiedlich interpretiert werden. „Das Gesetz ist schizophren. Normalerweise sollen eine finanzielle Hilfe – in Frankreich ADA genannt – und eine Unterkunft gewährleistet werden. Als ‚Gegenleistung’ darf der Asylbewerber nicht arbeiten. In Wirklichkeit hat mehr als die Hälfe keine Unterkunft und trotzdem dürfen sie nicht arbeiten. Darüber hinaus sieht die 2014 verabschiedete Valls-Verordnung vor, dass jener Antrag für Einbürgerung mit Nachweis auf Arbeitsverträge Vorrang hat.“ Ariel Cypels Botschaft ist klar: „Der Kulturbereich muss sein Herz in die Hand nehmen. Auch große Theaterhäuser. Sie müssen die Künstler, mit denen sie arbeiten, offiziell anmelden. Wenn alle Kulturorte eine Familie oder ein Paar beherbergen oder Arbeitsräume zur Verfügung stellen würden, würden sie als Vorbild dienen“.

Und wenn die Lösung eben darin bestehen würde, unter dem Schutz einer großen Gebietskörperschaft oder Einrichtung zu handeln? Als letzter Referent erzählt Eugen Georg, Gründer von Arrival Rooms in Saarbrücken, wie er für seine Theaterworkshops von der Stadtverwaltung die Bereitstellung eines Buses bekam, um mehr auf die Personen zugehen zu können.

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Mit dem Abschluss des Kolloquiums sind die Themen durchaus nicht abgeschlossen. Unter anderem die Frage der Hindernisse, den sich die Verantwortlichen solcher Projekte stellen müssen, wäre weiteren Diskussionen und Erörterungen wert gewesen. Richtig handeln ist nicht einfach. Nach diesen zwei Austauschtagen scheint aber eine kleine Musik in allen Köpfen zu singen. Die Musik eines durch viele unterschiedliche Wege zu erreichenden Ideals. „Es liegt an uns, weiter zusammenzuarbeiten und zu vermitteln, was wir daraus gelernt haben“, skandiert eine Teilnehmerin. Ein perfektes Schlusswort… oder ein Wort für einen Neubeginn!

Claude Somot, fotograf

« Ich höre von manchen Personen, dass sie von Projekten, die einfache Lebenserzählungen auf die Bühne bringen, irritiert sind. Allein die Fiktion gehöre demnach zum Theater. Ich meinerseits finde das dokumentarische Theater sehr wichtig, um dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge sich frei ausdrücken können und dass wir sie hören. »

Fatou Mbodj, doktorandin der Sprachwissenschaft an der Universität Lothringen

« Personen dazu einladen, sich durch das Theater auszudrücken, kann ihnen dabei helfen, sich nach außen zu öffnen, aber nicht immer. Manchmal möchten sie sich nicht befreien. Sie tun es, um den Anderen eine Freude zu machen, weil sie sich zu Dank verpflichtet fühlen, aber das tut ihnen nicht gut. »

Laura Mahé, dKulturbeauftragte beim Espace Malraux in Geispolsheim

« Wir hatten sehr viele Flüchtlingskünstler im Programm, sowie französische Kompanien, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzten. Leider stelle ich viel Schwarzmalerei und Mitleid in den vermittelten Botschaften fest. Ich würde gerne ein anderes Bild von ihnen liefern. »