Wejdan NASSIF
« Als ob ich zwei Persönlichkeiten hätte »

Die Syrerin Wejdan Nassif war Grundschullehrerin in Damas. Sie kam 2014 mit ihrer Familie nach Frankreich. Sie begann mit dem Schreiben, um von dem Alltag der syrischen Revolution zu erzählen. Ihre Briefe aus Syrien wurden übersetzt und 2014 beim Verlag Buchet-Chastel unter dem Pseudonym Joumana Maarouf veröffentlicht. Im Rahmen des Bérénice-Projekts schrieb die Künstlerin A vau l’eau, Portraits von ihren Nachbarn/-innen in Metz-Borny.

Sie waren nicht immer Schriftstellerin. Ist es für Sie heute wichtig, Künstlerin zu sein?

Selbstverständlich. Ich muss – ein inneres Muss – eine Künstlerin sein und anderen Künstlern hier begegnen. Der Beruf, den ich mehrere Jahre in Metz ausübte, Jugendfreizeitbetreuerin, ist ebenfalls wichtig. Es war aber nur ein Beruf, um mein Brot zu verdienen. Wenn ich schreibe, ist es meine Entscheidung. Ich kann mich äußern, meine Identität bekräftigen. Mich frei fühlen – was in Syrien unmöglich ist, tut mir sehr gut. Dank dem Umgang mit anderen Künstlern bei Passages ist der Unterschied nicht mehr so spürbar. Ich bin nicht mehr nur eine Syrerin. Ich kann mit „wir“ über Künstler reden.

Künstler haben es hier aber nicht so einfach!

Ja, ich weiß, dass Künstler oft arm sind. Ich weiß auch, dass es für mich als Ausländerin noch schwerer sein wird, weil ich mit den Regeln hier nicht vertraut bin. Deswegen war die vom Bérénice-Projekt geleistete Hilfe so wichtig. Für die Veröffentlichung meines Buches A vau l’eau haben sie mich bei jeder Etappe begleitet. Ich hatte wirklich das Gefühl, immer jemanden an meiner Seite zu haben. Ich hätte mich nie an Lesungen oder öffentliche Präsentationen gewagt. Sie haben mich beruhigt und mich überredet, die arabische Sprache zu Gehör zu bringen… Die Idee eines zweisprachigen Buches war fabelhaft. 

Ist die Sprache das Haupthindernis, auch für Künstler?

Für mich schon, auf jeden Fall. Das Lernen einer anderen Sprache erfordert sehr viel Energie. Insbesondere wenn man sehr beschäftigt ist und sich um sein eigenes Land Sorgen macht. In Syrien war ich eine Aktivistin und saß dafür im Gefängnis. Heute noch bin ich Aktivistin. Ich kommuniziere sehr viel mit syrischen Frauen in der ganzen Welt und unterstütze die Oppositionsbewegung. Dies alles passiert auf Arabisch, was dazu führt, dass ich im Französischen nicht schnell genug Fortschritte mache. Es ist auch sehr mühsam. Als ob ich zwei Persönlichkeiten hätte… Mein Kopf gehört nicht komplett hierher. Ich kann aber nicht anders. Ich will mich so viel wie möglich integrieren, als Künstlerin arbeiten, aber nicht um jeden Preis: Mein Land will ich nicht fallenlassen.