Bérénice-Kolloquium #2 am 26./27. April 2018 in Trier
„Strategien für kulturelle Inklusion“

Am 26./27. April 2018 trafen sich die Partner des Bérénice-Netzwerkes zu einem Kongress, um ihre Arbeit in Bezug auf das seit nun anderthalb Jahren laufenden Interreg-Programm Bérénice, das sich die Aufgabe setzt, Strategien für soziale und kulturelle Inklusion in der Großregion zu finden, zu evaluieren, sich über Fortschritte und Best Practicse auszutauschen und vom Status Quo eine Zielvorstellung zu formulieren.

Programm :

1. Begrüßung und Eröffnungsrede / Führung durch das Theater Trier
2. Workshops mit Joel Helluy (Interkulturelles Theater) und Marc-Bernhard Gleißner (Inklusionstheater)
3. Gesprächsrunde 1 „Sprache lehren für Migranten und Geflüchtete – Wie können kulturelle Einrichtungen soziale Inklusion unterstützen“ mit Marc Borkam (Trier)
4. Gesprächsrunde 2 „Gesetzgebung und Migration“ mit Latifa Benoumas (Metz), Sybille Gio (Lüttich), Refugee Law Clinic e.V. (Trier)
5. Gesprächsrunde 3 „Kunst und Migration“ mit Majid Aljizani (Eupen), Mohamed Kushari (Trier), Davy Landou (Metz), Dominique Bela (Lüttich)
6. Gesamtfazit

Führung durch das Theater Trier

Die Führung durch das Theater Trier hatte nicht die Aufgabe, den Arbeitsplatz des Gastgebers vorzustellen. Vielmehr sollte gezeigt werden, dass in Deutschland mit dem Ensemblethe-aterstrukturen, einer integrierten Theaterpädagogik und Partizipationstheatermöglichkeiten (Bür-gertheater) leichter kulturelle Angebote geschaffen werden können, die eine vermittelnde und integrierende Funktion haben. So ist die Theaterpädagogik integraler Bestandteil eines Theaters und vermittelt zwischen Schulen und anderen Bildungsträgern und Publikum. Im Bereich Partizipationstheater gibt es für Laien das Angebot selbst Theater zu spielen. Inklusionsprojekte, die Geflüchtete kulturell und sozial integrieren können so direkt am Theater Trier umgesetzt werden. Das Bürgertheater, das seit 2015 am Theater Trier existiert, ist eine Struktur um kulturelle Inklusion voranzutreiben.

Workshops

Joel Helluy führte mit den TeilnehmerInnen des Kongresses einen Workshop zu Interkulturellem Theater durch. Er ließ die Teilnehmenden nonverbal interagieren und verdeutlichte sein Ziel: trotz Sprachbarrieren können wir miteinander kommunizieren. Für den Kongress war diese Erfahrung wichtig, Kultur hat eine Vorbildfunktion für das gesellschaftliche Miteinander. Wenn wir nonverbal miteinander umgehen können, Körpersprache und Gefühl in den Vordergrund unserer Interaktion in zu rücken, dann können wir Kommunikationsbarrieren mit Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen überwinden und offenere Formen von gesellschaftlichen Miteinander finden.

Marc-Bernhard Gleißner führte einen Workshop zu Inklusionstheater durch. Gemäß der Ansicht der Performancegruppe Rimini-Protokolle, die Teilnehmenden des Bürgertheaters als Experten des Alltags versteht, habe er die Workshopgruppen als Experten zum Thema Migration verstanden. Er ließ sie in kleinen Gruppen arbeiten, damit sie sich über ihre Expertise zum Thema austauschen konnten. Als Ziel formulierte er, dass diese Expertise in einem szenischen Anspiel enden sollte. Obwohl die Kommunikationsbarriere zwischen französisch- und deutschsprachigen Teilnehmenden vorhanden war, schaffte der Expertenstatus eine Gemeinsamkeit, die sie zu einem Ensemble wachsen ließ und inhaltlich sowie künstlerisch spannende Performances erarbeiten ließ.

Gesprächsrunde 1
„Sprache lehren für Migranten und Geflüchtete – Wie können kulturelle Einrichtungen soziale Inklusion unterstützen“ mit Marc Borkam (Trier )

Marc Borkam ist Geschäftsführer der TASI (Trierer Akademie für Sprache und Integration). In der TASI werden Migranten unterrichtet, deren primäres Ziel das Studium an einer deutschen Universität ist. Er kritisiert, dass in anderen Sprachkursen meist eine Kategorisierung des Sprachniveaus der Unterrichteten durch die Kursleiter stattfindet. Dies erschwert die Integration. Ziel der meisten Sprachkurse sei es, die Menschen auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Dieses Basisdeutsch verhindert aber eine kritische Auseinandersetzung zu gesellschaftlichen Diskussionen und erschwere Intergration. Er fordert mehr Zeit zum Deutschlernen. Kulturvermittlung können Fremdsprachenkurse nur bedingt leisten. Ihre primäre Aufgabe liegt in der Sprachvermittlung. Wenn in diesem Zusammenhang Diskussionen zu Kultur und Werte stattfinden, wird dies unterstützt, kann aber nicht von SprachlehrerInnen systematisch unterrichtet werden. Statt einen Werte oder Gesinnungstest spricht sich Marc Borkam für eine Kooperation mit Kulturträgern aus. In Theaterclubs besteht die Möglichkeit des kritischen Diskutierens und des sozialen Zusammenwachsen zu einem Ensemble.

Gesprächsrunde 2
„Gesetzgebung und Migration“ mit Latifa Benoumas (Metz), Sybille Gio (Lüttich), Refugee Law Clinic e.V. (Trier)

In der zweiten Gesprächsrunde berichtete Sozialarbeiterin Latifa Benoumas (Metz) von der Wahrnehmung von Grundbedürfnissen durch Geflüchtete. Durch die zentrale Entscheidung über die Anerkennung eines Asylantrages in Paris sind die Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, in Frankreich überfordert. Frankreich hat nun die Zeit für die Entscheidung von Asylanträgen verkürzt, dies führt aber zum Wegfall integrativer Maßnahmen. Zudem werden Geflüchtete meist illegal in Camps untergebracht, ohne dass es eine gesetzliche Regelung gäbe. Wohnung, Versorgung und Sprachkurse werden nicht angeboten, die Bedürfnisse der Geflüchteten wird nicht ernst genommen.  Wenn ein Asylantrag positiv erteilt wird, sind Geflüchtete zwar arbeitsberechtigt, aber nur bei Kenntnis der französischen Sprache. Dies erschwert Integration. Auch bei basalen Bedüfnissen wie Wohnen gibt es kaum Unterstützung. Frau Benoumas fordert, dass die Politik auf die Erfahrung der Sozialarbeiter zurückgreifen soll und die Bedürfnispyramide als Grundlager der Asylpolitik annehmen soll.

Anwältin Sybille Gioe (Lüttich) weist auf das Klaffen von Recht und Wirklichkeit hin. Sie verweist darauf, dass in Belgien Asylbewerbern psychologische, rechtliche und gesundheitliche Hilfe zur Verfügung stehen müssen. Die Realisation in den Hotspots sei jedoch eine Farce. Die EU-Außenpolitik, die versucht Flüchtlinge von Europa fernzuhalten und durch Abkommen mit Lybien und der Türkei gefestigt werden, sieht sie als Bruch mit den Menschenrechten und dem rechtlich-moralischen System der EU.

Die Refugee Law Clinic ist ein Verein aus Trier von Jura-Studierenden, die kostenlose Beratung für Geflüchtete anbietet. Sie klären über den Status von Geflüchteten auf. Sie klären über das Arbeitsrecht von Geflüchteten auf (keine eigene Tätigkeit, nur Arbeitsverhältnis). Für Künstler ist die Situation noch schwieriger, da zwar die Kunst als frei und nicht definierbar verstanden wird, aber nicht der Künstler. So können nicht-anerkannte Asylbewerber als Künstler ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Flüchtlingsgesetze brechen so die Individualrechte.

Gesprächsrunde 3
„Kunst und Migration“ mit Majid Aljizani (Eupen), Mohamed Kushari (Trier), Davy Landou (Metz), Dominique Bela (Lüttich)

In der dritten Gesprächsrunde kamen Künstler, die nach Europa geflüchtet sind, zu Wort.

Majid Aljizani (Eupen) ist Regisseur, er drehte in Eupen den Film „Elsenborn-Effect“ über das gleichnamige Flüchtlingscamp. Er kritisiert, dass die Abschiebungen immer ein unmenschlicher Akt sind. In seinem nächsten Film will er über verletzende Praktiken gegenüber Geflüchteten arbeiten.

Mohamed Kushari (Trier) ist von Syrien nach Algerien geflohen Nachdem es dort wegen seiner Kritik an der algerischen Politik zu Problemen kam, floh er nach Spanien, von dort kam er nach Deutschland. Mittlerweile studiert er und ist als Künstler aktiv. Er spielt Gitarre, gibt Konzerte und ist als Schauspieler in der Bürgersparte sowie in der freien Szene aktiv. Er kritisiert, dass er in vielen Theaterprojekten den Flüchtling spielen muss und fordert, dass es keine stereotype Rollenzuweisung geben soll. Auch fehlt es an Unterstützung für Künstler im rechtlichen Bereich. Eine Anmeldung seiner Songs bei der GEMA zum Schutz des Urheberrrechtes sind aus bürokratischen Gründen gescheitert.

Davy Landou (Metz) ist Autor und Schauspieler. Seine Erfahrung aus dem Kongo ist, dass die Kunst den Kampf gegen die Politik aufnehmen kann. Im Kongo seien bspw. Kinder mit Behinderung ein Fluch. Als er inklusive Projekte initiierte, reagierte das politische System repressiv. Landou verweist darauf, dass dies aber auch die Verletzbarkeit des politischen Systems zeigt. Er fordert, Kunst solle die Stimme der Rechtlosen werden und gemeinsam gegen eine inhumane Politik kämpfen, damit Toleranz und Miteiander eine bessere Gesellschaft schaffen.

Dominique Bela (Lüttich) ist Schauspieler und Journalist. Er kritisiert die Kategorie „geflüchteter Künstler“, denn seine Nationalität sei nicht „Flüchtling“. Kunst müsse die Frage nach den grundlegenden Rechten stellen. Projekte wie Bérénice müssen eine Nachhaltigkeit aufweisen.

Gesamtfazit

1. Es soll eine Expertengruppe zur rechtlichen Situation von Künstlern geben, die auf Grund ihres Fluchtstatus ihre Arbeit nicht ausüben dürfen. Die Ergebnisse in einem publikumswirksamen Format vorgestellt werden.
2. Es soll eine Expertengruppe geben, die sich dem Aufgabenbereich Sprach- und Kulturvermittlung annimmt. Dabei sollen Sprachvermittler von Alphabetisierungskursen, Grund und weiterführenden Schulen sowie den Universitäten eingebunden werden.
3. Es soll einen weiteren Kongress geben, bei dem Juristen, Sozialarbeiter, Sprachvermittler Lösungsansätze für die im ersten Kongress genannten Probleme entwickeln sollen.
4. Die Workshops am Theater Trier sollen ausgetauscht werden und bei den anderen Partnern durchgeführt werden. Theater kann so einen Beitrag zu Zivilcourage schaffen.

TeilnehmerInnnen :
Nicolas Contor – CRILUX (BE) ; Chantal Heck – Chudoscnik Sunergia (BE) ; Majid Aljizani – Filmregisseur (IR) ; Bianca Croé – CAJ – Viertelhaus Cardijn (BE) ; Nadège Hilgers-Kouleikina – Stadt Eupen – Integration u. Zusammenleben (BE) ; Cédric Robinet – Rechtsantwalt (BE) ; Marvin Robert – Theater Lüttich (BE) ; Edith Bertholet – Theater Lüttich (BE) ; Sibylle Gioe – Rechtsantwältin (BE) ; Dominique Bela – Schauspieler (CO) ; Stéphane Wasila – Abtei Neumünster (LUX) ; Karine Bouton – Abtei Neumünster (LUX) ; Marc-Bernhard Gleissner – Theater Trier (DE) ; Krisztina Horvath – Theater Trier (DE) ; Ina Pfisterer – Theater Trier (DE) ; Simon Ossadnik – Theater Trier (DE) ; Amelie Stertenbrink – Theater Trier (DE) ; Tessa Maria Hillermann – Universität Trier (DE) ; Georg Kuhs – Universität Trier (DE) ; Mohamed Kushari – Musiker / Schauspieler (SY) ; Hocine Chabira – Festival Passages (FR) ; Gwenaëlle Plougonven – Festival Passages (FR) ; Arthur Egloffe – Festival Passages (FR) ; Alice Backscheider – Festival Passages (FR) ; Louise Beauchêne – Festival Passages (FR) ; Ophélie Schneider – Festival Passages (FR) ; Sarah Valent – Festival Passages (FR) ; Cyrielle Bethegnies – Festival Passages (FR) ; Joël Helluy – Künstler / Sozialarbeiter (FR) ; Davy Landoue – Schauspieler (FR) ; Latifa Benomar – Sozialarbeiter (FR) ; Myriama Idir – Cité musicale-Metz (FR)