Marc-Bernhard GLEIßNER
« Wir sind keine Laien. Wir sind Experten des Alltags »

Als ehemaliger Spartenleiter für das Bürgertheater am Theater Trier glaubt Marc-Bernhard Gleißner an Inklusion auf Augenhöhe. Dabei setzt er auf Methoden, die alle Teilnehmenden an Bürgertheaterproduktionen als Ensemble gleich behandeln.

Wie sind Sie dazu gekommen, sich für Inklusion durch Kultur zu interessieren?

Von 2009 bis 2015 arbeitete ich während meines Studiums für eine Bundestagsabgeordnete, die erst menschenrechts- und dann behindertenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion war. Da ich seit 2004 Theater in Trier auf die Bühne bringe, übertrugen sich die Themen in die Theaterstücke. 2015 wurde mir die Leitung der Sparte 0.1, des Bürgertheaters, anvertraut. Eine neue Sparte, die alle Menschen ins Theater bringen sollte, aber nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Akteure. Ich habe zuerst den Jugend- und Seniorenclub für eine gemeinsame Produktion zusammengebracht und Studierende für die neue Sparte begeistert. Inklusion setzt die Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Hintergrund voraus. Als wir das Theater mit dem Ziel öffneten, Theaterstücke mit Nicht-Profis zu inszenieren, waren neben den unterschiedlichen Altersgruppen auch Geflüchtete an der Mitwirkung interessiert. Bei manchen Produktionen zählte die Teilnahme bis zu 80 Menschen. Um mit so vielen Menschen ein Theaterstück auf die Beine zu stellen, musste man kleinere Gruppen bilden, die aber in sich sehr heterogen waren, so dass die Begegnung mit dem Anderen stattfinden konnte.

Wie schafft man es, so unterschiedliche Menschen zusammenzubringen?

Wir haben erst mit einem niedrigschwelligen Angebot angefangen. Wir haben um Halloween ein Horror-Doppelformat entwickelt. Mit der Interaktiven Horrornacht und dem Format „Ein Abend am Grand Guignol“ haben wir darauf gesetzt, dass jeder eine Expertise über Angst, Schrecken und Horror hat. Dieser Austausch, in der jeder als Experte wahrgenommen wurde, förderte das Selbstbewusstsein und ließ die Unterschiede nach Geschlecht, Alter, Religion oder Herkunft vollkommen in den Hintergrund treten. Manche Kollegen fragten dann schon mal: „Was macht ihr denn im Laientheater?“ Ich antwortete: „Wir sind keine Laien. Wir sind Experten des Alltags.“ Dieser Austausch auf Augenhöhe in den Produktionen des Bürgertheaters setzte eine Energie frei, dass sich sogar professionelle Künstler in der Sparte engagierten. Sie wollten an der Kreativität teilhaben.

Ist Inklusion also nur durch Theater mit niedrigschwelligen Themen möglich?

Nein. Das Angebot mit den niedrigschwelligen Themen war nur der erste Schritt. Ich habe in der Folge darauf komplexe Themen, wie etwa Religion und Fanatismus oder zu Karl Marx 200. Geburtstag mit dem Bürgertheater entwickelt. Dafür haben wir uns einer Methode des Künstlerkolletivs Rimini-Protokoll bedient. Es stützt sich auf den Status der Experten des Alltags. Wir haben zum Beispiel Texte von Marx gelesen und diese dann mit unseren Alltagserfahrungen verglichen. Mit der Transformation der philosophischen Texte in die Expertise des Alltags wuchs auch bei den Akteuren des Bürgertheaters ein ästhetischer Ansatz, der in der Verfremdung von Texten lag. Bei meinen letzten Inszenierungen am Theater übernahm Mohamed Kushari, ein Geflüchteter aus Syrien, die musikalische Leitung. Es war aber eben nicht mehr ein begleiteter geflüchteter Künstler, er war mein Kollege!