Amandine TRUFFY & Bertrand SINAPI
« Flüchtlinge bringen uns ihre Fähigkeit bei, stehen zu bleiben und sich aufrecht zu halten »

Mit ihren Workshops El Warsha und ihrem Stück Après les ruines (Nach den Trümmern) lädt die Kompanie Pardès Rimonim von Metz dazu ein, Flüchtlinge nicht mehr nur zu beobachten oder zu hören, sondern mit ihnen in den Dialog zu treten und diesen Dialog zu intensivieren.

In Après les ruines (Nach den Trümmern) wird weder Geflüchteten das Wort erteilt, noch werden deren Aussagen wiedergegeben. Ihr Stück wird aus dem Blickwinkel von Einwohnern aus dem Hier und Jetzt erzählt. Warum?

Wir wollten kein x-tes Stück mit Zeugenaussagen. Wenn der Fokus zu sehr auf eine reale Situation gelegt wird, verliert diese an Wirklichkeit. Man gewöhnt sich daran und genau da liegt das Gefährliche. Wir wollten Fragen aufwerfen, ohne vorgefasste Antworten, damit der Zuschauer zum Akteur wird. Wir wollten uns unserer Verantwortung bewusst werden, uns nicht hinter Jemandem anderen verstecken. Wir wollten über die Auswirkungen der Flüchtlingskrise auf uns sowie über unsere Familiengeschichten reden. Es war auch eine interessantere Weise, sich so an unser Publikum zu wenden, mit dem wir uns sowieso schon über die Migrationsfragen einig waren.

Grundsatz der Theaterworkshops El Warsha ist das Einbeziehen von „Einheimischen“. Sie leiten seit vier Jahren einen von denen. Wie wird die richtige Begegnung gefördert?

Flüchtlinge sagen: „Man verlangt von uns, dass wir uns integrieren. Vereine lassen uns die Stadt entdecken. Aber wo begegnen wir Menschen? Wo schließen wir neue Freundschaften?“. Mit Joël Helluy, einem Schauspieler unserer Kompanie, auch Sozialarbeiter, haben wir – schon vor dem Start des Bérénice-Projekts – einen „Treff-Theaterworkshop“ im Espace Bernard-Marie Koltès auf dem Unicampus in Saulcy organisiert. Es war ein offener Workshop, die Teilnehmenden mussten nicht jedes Mal dabei sein und nicht unbedingt Französisch können. Das erste Jahr war der Wahnsinn. Ein richtiger Babel-Workshop! Eine junge Frau, die Hindi und Französisch konnte, übersetzte die Worte eines anderen Teilnehmers, der Hindi und Paschtu sprach und der wiederum die Worte eines Anderen übersetzte, der nur Paschtu konnte. Am Ende verstand jeder etwas anderes! Mit anderen Teilnehmenden sprachen wir am Anfang sehr langsam und artikuliert, bis wir feststellten, dass sie alles verstanden! Wir haben sehr viel mit rhythmischen, körperlichen und fröhlichen Basisübungen gearbeitet. Franzosen und Ausländer teilten eine richtige kindliche Freude miteinander: die Freude daran, Blödsinn zu machen!

Hat sich Ihr eigener Blick auf Migranten verändert?

Uns wurde die Vielfalt der Geschichten bewusst. Man neigt dazu, sie als Gruppe zu betrachten, aber sie sind alle verschieden. Es gibt Intellektuelle und Analphabeten. Syrer, Iraker und Sudaner sprechen arabisch miteinander, sie sind aber füreinander Fremde. Uns wurde auch bewusst, dass sie Menschen wie wir sind und dass uns das Gleiche passieren könnte. In unseren Gesellschaften fürchten wir uns vor dem Unglück, als ob es ansteckend wäre. Aufgefallen ist uns aber in erster Linie ihre Fähigkeit, stehen zu bleiben und sich aufrecht zu halten. Der Mensch hat einen Selbsterhaltungstrieb. Flüchtlinge bringen es mit in unsere Gesellschaft. In Après les ruines (Nach den Trümmern) wollten wir eben unsere Zweifel und Narben zeigen. Sonst verbreitet man die Idee, nach der man beim Unglück liegen bleibt. Das stimmt nicht. Dem Unglück bietet man die Stirn.