Christelle MIRANDE
« Eine Art Verbundenheit ist entstanden »

Christelle Mirande arbeitet als für Kultur zuständige Berufsberaterin bei der Mission locale des Pays messins, einer öffentlichen Struktur, die 16- bis 25-jährige Arbeitssuchende auf ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung begleitet. Sie hat mit dem Festival Passages zusammengearbeitet.

Das Bérénice-Projekt brachte sieben junge Menschen zu einer intensiven künstlerischen Praxis. Wie ist es gelaufen?

Vorher hatten wir uns darauf beschränkt, unsere jungen Leute mit zu Ausstellungen oder Theaterstücken zu nehmen. Mit diesem Projekt konnten wir sie zusätzlich zum Mitmachen bringen. Nach der Begegnung mit Louise Beauchêne, Hocine Chabira und den Workshopsreferenten im Dezember 2018 fanden drei Workshopreihen zwischen Januar und Ende April 2019 statt: ein (wöchentlich stattgefundener) Fotografie-Workshop mit Claude Somot; ein Bühnenbau-Workshop mit Joanie Rancier, währenddessen die Teilnehmenden eine ganze Woche lang – Vollzeit – an der Raumgestaltung und an dem Bühnenbild des Festivals gearbeitet haben; und zum Schluss ein (viertägiger) Theaterworkshop mit Hervé Urbani von der Kompanie Les Heures paniques. Diese Reihenfolge war sehr sinnvoll. Mit der Fotografie lernten sich sie Teilnehmenden selbst und einander die anderen besser kennen und gingen über Normen und Standards hinaus. Ein junger Mann aus Guinea hat sich spontan dafür entschieden, die Statuen in Metz zu fotografieren: Bei ihm zuhause gibt es keine. Es war auffallend zu sehen, wie bei dem Projekt jeder für sich einen roten Faden für sich gefunden, ohne dass es von ihnen verlangt wurde. Mit solchen Projekten werden Vorlieben und Affinitäten aufgedeckt; die Teilnehmenden mussten nicht über ihre Probleme reden, sondern über sich selbst und sie waren davon begeistert. Das Theaterprojekt kam als 3. Teil am Ende. Sie haben schnell beschlossen, vor der Kamera in der Ichform von Ungerechtigkeiten zu reden. Dadurch dass sie sich besser kannten, fanden sie dazu den Mut. Sie haben es nicht als Druck empfunden. Ganz im Gegenteil: Sie konnten damit zeigen, wie sie sich im Projekt entwickelt haben und konnten daraus eine Botschaft formulieren: Hindernisse lassen sich überwinden.

Wie kann Kunst helfen, wenn man eine Arbeit sucht?

Es ist wertvoller Freiraum im Eingliederungsprozess. Die Arbeitssuchenden fühlen sich dann besser und sind für viele neue Bildungsformen offener. Sie kommen aus verschiedenen Stadtvierteln von Metz und liebten es, Zeit auf dem Hype-Gelände Bliiida zu verbringen, dessen Einwohner sie sehr freundlich empfangen haben Eine junge Frau konnte so für sich entdecken, dass sie sich in einem kreativen Arbeitsumfeld wohlfühlt. Im Rahmen des Bühnenbau-Workshops begegneten sie Teilnehmenden aus anderen Umfeldern, etwa einer Lehrerin und einer Illustratorin. Sie haben geschliffen, gestrichen, elektrotechnische Aufgaben übernommen, genäht… Kunst ist eine Brücke zu vielen Berufen. Die Teilnehmenden lernten sich selbst einzuschätzen, als sie zum Beispiel entscheiden mussten, welches Foto vergrößert werden sollte. Sie lernten von ihrer Arbeit und von sich selbst zu erzählen sowie in größeren Zusammenhängen zu denken und zu reden. Ihre körperliche Haltung hat sich auch geändert. Plötzlich hielten sie sich gerade. Einige haben ehrenamtlich weitergemacht. Dies alles spielt eine wesentliche Rolle beim nächsten Treffen mit einem möglichen Arbeitgeber. 

Was haben Sie als Berufsberaterin gelernt?

Ich sehe normalerweise die Jugendlichen allein, von einer halben bis zu einer Stunde in der Woche, und ausschließlich zur Besprechung ihres beruflichen Werdegangs. Mit diesem Projekt habe ich sie kollektiv beziehungsweise als Gruppe getroffen, der Austausch war viel intensiver und die besprochenen Themen vielfältiger. Eine Mauer ist gefallen, eine Art Verbundenheit ist entstanden. Sie trauten sich mehr, nach meiner Meinung zu fragen, mich um Hilfe zu bitten oder sogar Fragen zu mir und meiner Herkunft zu stellen. In dieser vertrauensvollen Atmosphäre erzählten sie mir mehr von ihren Schwierigkeiten und ich fürchtete mich weniger davor, aufdringlich zu sein. Ich lernte die unauffälligen Sätze und Zeichen besser einzuordnen, die entweder „mir geht es gut“ oder „mir geht es nicht gut“ bedeuten. Bisher war ich zu sehr in der Selbstzensur: Die Jugendlichen brauchen Beziehungen und Bindungen.