Ylli KADIU
« Mir wurde klar, dass ich‚ fähig’ bin »
Aus Albanien stammend und mit seiner Frau und seiner Tochter geflüchtet, lebt Yili Kadiu, 38, in einem Heim in Metz und nimmt seit dreieinhalb Jahren zweimal in der Woche an den interkulturellen Theaterworkshops El Warsha teil. Eine entscheidende Erfahrung, die ihm erlaubte, seine Sprachkenntnisse zu verbessern, an Selbstvertrauen zu gewinnen und wieder an die Zukunft zu glauben.
Was bringen Ihnen die Workshops El Warsha?
Erst einmal die Gelegenheit, die französische Sprache zu üben, dank dem Austausch mit anderen Teilnehmenden. Im Rahmen der Workshops habe ich meine Sprachkenntnisse sehr verbessert und heute schaffe ich es, Die Elenden, mein Lieblingsbuch, auf Französisch ohne Übersetzung zu lesen! Aber in erster Linie fand ich hier einen anderen Ort, in dem ich den Stress und die Alltagsprobleme des Heims vergessen kann, sowie die Tatsache, dass ich keine Aufenthaltsgenehmigung habe. Ich betrete dabei eine neue Welt, ohne Hierarchie, in der ich mitwirken und Ideen geben darf und in der diese Ideen tatsächlich berücksichtigt werden. Ich traue mich, mich frei auszudrücken, ohne mir Sorgen über mögliche Sprachfehler auf Französisch zu machen und ohne Rassismus zu fürchten. Unter den französischen Teilnehmenden gibt es viele Ärzte und Unidozenten, die neugierig auf einen kosmopolitischen Austausch sind. Ich wäre sonst im Alltag diesen Personen nie begegnet. Alle Teilnehmenden sind nett, freundlich, lächelnd und sehr bescheiden. Es ist mit nichts zu vergleichen.
Über das gemeinsame Vergnügen hinaus, an diesen Workshops teilzunehmen, welches Nutzen ziehen Sie daraus?
Während der Workshops probieren wir alle Emotionen aus: Freude, Wut… Dagegen empfindet der Asylbewerber im Alltag kaum Emotionen, dafür aber viel Stress. Wenn ich heimkomme, empfinde ich immer noch diese Emotionen, ich denke noch einmal über die Szenen nach. In den folgenden Tagen tauchen neue Ideen auf, die ich unterbreiten könnte. Dies hält die Probleme fern, zumindest gedanklich. Die Workshops und die Stücke, die wir auf die Beine gestellt haben, gaben mir auch Vertrauen. Als ich es geschafft habe, auf Französisch zu spielen, in einem Land, das nicht meins ist, in einer anderen Kultur, mit Applaus, wurde mir klar, dass ich „fähig“ bin. Davor sah ich mich als jemand, der nicht von der Stelle kommt, der läuft und läuft, ziellos. Dank dieses Erfolges konnte ich für mich denken: Nein, ich werde nicht stecken bleiben, ich kann große Sachen vollbringen. Ich weiß nicht wann, aber ich glaube, ich schaffe es eines Tages. Und ich bin sicher, dass meine Tochter all meine Träume verwirklichen wird.
Welche sind denn Ihre Träume?
In Albanien war ich Literaturlehrer, hatte aber nie etwas geschrieben. Hier habe ich ein Theaterstück geschrieben, Die Insel der Schmerzen. Das Schreiben tut mir gut. Inspiration ist eine geistige Nahrung. Ich würde gerne diesen Weg weitergehen. Wenn ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekomme, möchte ich mich an der Universität einschreiben, meine bisherigen Diplome anerkennen lassen, Drehbücher fürs Kino schreiben, im Theaterbereich arbeiten – oder in der Politik, die mich ebenfalls sehr interessiert. Im Augenblick führe ich mein erstes großes Projekt durch: mein Theaterstück mit der Kompanie Les Heures Paniques auf die Bühne zu bringen. Zur Premiere würde ich gern den Präfekten des Departements Moselle einladen, um ihm zu sagen: „Geben Sie mir in Victor Hugos Land einen Platz.“